Interview „Religionsfreiheit steht unter Druck“
zeitzeichen: Herr Schwabe, wie ist es um die Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit bestellt?
Frank Schwabe: Sie steht ohne Frage unter Druck. Nur geschätzt drei Prozent der Menschen weltweit können ihre Religion wirklich frei leben oder sich auch dafür entscheiden, ohne Religion zu leben. Aber Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ja kein Menschenrecht im luftleeren Raum, sondern steht immer auch in Verbindung zu anderen Menschenrechten. Wo Religionsfreiheit bedroht ist, sind oft auch die Pressefreiheit oder das Versammlungsrecht gefährdet. Hier gibt es insgesamt weltweit einen Rückschritt, immer mehr Regime versuchen Menschenrechte zu beschneiden.
Wie ist die Lage bei der Religionsfreiheit im Inland?
Schwabe: Das Thema liegt eigentlich nicht in meinem Mandat, weil ich ja für die internationalen Fragen zuständig bin. Allerdings müssen wir uns ebenso kritisch mit der eigenen Lage beschäftigen, wenn wir die Lage in anderen Ländern beurteilen wollen. In einem internationalen Ranking stünde Deutschland sicher im oberen Bereich. Aber auch bei uns gibt es Einschränkungen der Religionsfreiheit, etwa für Musliminnen und Muslime. Sie sollten Moscheen bauen können, auch mit Minarett. Das wird aber oft vor Ort behindert.
Auch wenn Christen in der Türkei nicht einfach Kirchen bauen können?
Schwabe: Mit solchen relativierenden Debatten kann ich gar nichts anfangen. So argumentieren wir bei anderen Themen ja auch nicht, etwa bei der Medienfreiheit. Dass woanders Zensur herrscht, würde sie bei uns ja auch nicht rechtfertigen. Muslime und Musliminnen werden in unserer Gesellschaft immer wieder diskriminiert, und das gilt es zu benennen und zu verhindern. Aber wir haben dazu auch Instrumente, die wir nutzen können, im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zum Bespiel die Antidiskriminierungsstelle.
Mit welchen Waffen können Sie die Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit verteidigen?
Schwabe: Wir können souveränen Staaten natürlich keine Gesetze vorgeben, sie aber immer darauf hinweisen, dass sie internationale Abkommen geschlossen haben, in denen sie sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet haben, inklusive der Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Wir können und müssen immer wieder – zur Not auch penetrant – relevante Themen ansprechen, auf Reisen, bei Statements und in Berichten und so diejenigen stärken, die sich für die Weltanschauungsfreiheit stark machen. Das alles wird durchaus wahrgenommen. Ebenso auch der Bericht der Bundesregierung, den wir alle zwei Jahre veröffentlichen. Aber natürlich ist das eine Herausforderung, weil wir ja außenpolitische Interessen verfolgen, die nicht immer automatisch identisch mit Menschenrechtsthemen sind.
Was bedeutet das konkret?
Schwabe: Wir stehen als Bundesregierung für eine feministische und wertegeleitete Außen- und Entwicklungspolitik. Aber wir wollen ja auch noch mehr von den Ländern weltweit. Nehmen wir zum Beispiel Indien. Ein Land, das wir brauchen, auch um Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine zu isolieren. Auch beim Thema Klimaschutz und Energiepolitik ist Indien wichtig. Gleichzeitig erleben wir dort massive und wachsende Einschränkungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Ich plädiere nicht dafür, die Zusammenarbeit aufzugeben, im Gegenteil, aber Verletzung von Menschenrechten muss gerade jetzt klar angesprochen werden.
Wünschen Sie sich an diesem Punkt mehr Unterstützung von der Bundesregierung?
Schwabe: Ich bin Außenpolitiker und verstehe die besonderen Interessen der Bundesregierung. Gleichzeitig sehe ich gerade in der Beziehung zu Indien die Gefahr, dass wir beim Versuch der Balance zwischen Kooperation und dem Ansprechen von Menschenrechtsverletzungen zurzeit in der Gefahr sind, diplomatische Rücksichtnahme zu hoch zu bewerten. Wir brauchen das klare Wort.
Wie ist das Amt des Beauftragten zu Ihnen gekommen?
Schwabe: Ich hatte während meiner langjährigen Arbeit im Bundestag immer den Blick auf internationale Fragen, vor allem auf die Lage der Menschenrechte. Ich war über zwei Legislaturperioden Sprecher der SPD-Fraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und bin im Europarat unterwegs. Auch dort spielt das Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit eine wichtige Rolle. Damit war ich in den Augen der Bundesregierung wohl ziemlich erfahren und damit ganz geeignet.
Auch aus Ihrem eigenem Erleben von Glauben und Religion?
Schwabe: In meinem politischen Leben spielte das bislang keine große Rolle. Persönlich bin ich evangelischer Christ, nicht tief gläubig, aber immer mit Bezug zur Kirche. Die Rolle des persönlichen Glaubens wurde durch meine Frau gestärkt. Durch ihre Sozialisation in Nigeria ist sie viel stärker durch den Glauben und vor allem eine gewisse Spiritualität geprägt. Wir haben drei Kinder und mussten eine gemeinsame Antwort darauf finden, welche Rolle die Religion in unserem Lebensalltag spielen soll. Zum Glück macht unserer Kirchengemeinde eine tolle engagierte Arbeit, gerade auch für Kinder und Jugendliche.
Inwiefern ist Religion ein politisches Thema?
Schwabe: Am Ende geht es bei der Religion doch immer auch um die Frage, wie Menschen im Kleinen und Großen ihr Zusammenleben organisieren und das ist auch eine Frage von Macht. Damit allein ist Religion hochpolitisch. Ich persönlich finde aber auch, dass Kirche sich zu aktuellen politischen Fragen äußern sollte. Allerdings sehen wir derzeit in vielen Ländern, dass Religion und Kirche für politische Kampagnen instrumentalisiert werden. Das ist keine Form von politischer Religiosität, die frei macht und am Ende dazu führt, dass Menschen ihre Religion frei ausleben oder sich auch für ein Leben ohne Religion entscheiden können. Das sehe ich durchaus mit Sorge.
Von welchen Ländern reden wir jetzt?
Schwabe: Von religiösen Kampagnen, wie Donald Trump sie in den USA organisiert hat und es weiter tut, oder von der Instrumentalisierung der Religion in Brasilien durch den früheren Präsidenten Jair Bolsonaro. Und wir sehen dies eben auch beim Hindu-Nationalismus in Indien, wo Religion zur Machtabsicherung genutzt wird, indem Andersdenkende in Misskredit gebracht werden.
Nach knapp zwei Jahren in diesem Amt: Was waren die prägendsten oder beeindruckendsten Erlebnisse bisher?
Schwabe: Da fallen mir zunächst die Reisen ein, zum Beispiel die nach Nigeria, wo ich mich mit den religiösen Ausprägungen von Konflikten beschäftigt habe. Dabei ging es auch um die großen Probleme der Menschen, die sich weder als Christen noch als Muslime bezeichnen, sondern gar keiner Religion angehören. Mir ist es wichtig, dass jeder Mensch nach seiner Fasson selig werden kann. Wer ohne Religion leben will, soll das tun dürfen. In Nigeria habe ich mich daher mit dem Fall von Mubarak Bala beschäftigt, der wegen Blasphemie in erster Instanz zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. In Irak und Irak-Kurdistan ging es dann um das Schicksal der Êziden und Êzidinnen, die ihre Religion teilweise in einer sehr konservativen Weise leben.
Man kann das schon als Einschränkung des Lebens der Einzelnen sehen, anderseits haben diese strengen Regeln wohl auch das Überleben dieser Religionsgemeinschaft gesichert. Faszinierend zu sehen waren auch die fast urchristlich lebenden Gemeinschaften in den Klöstern der Region. Eine Reise dorthin führt tief hinein in die Geschichte und in das Kerngebiet der Bibel, des Islam und des Judentums. Ich lerne viel – und das ist bereichernd.
Haben Sie eine Verbindung zwischen den Religionen entdeckt, einen Gedanken oder einen Lehrsatz, den alle teilen?
Schwabe: Alle Religionen sind in ihrem Kern auf Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit ausgerichtet. Man kann in allen Religionen erleben, wie Menschen geholfen wird und die Schwachen unterstützt werden. Auch das Fasten, die Konzentration auf etwas anderes als das Sammeln irdischer Reichtümer, ist mir auch in vielen Religionen begegnet. Gleichzeitig haben alle Religionen auch den Anspruch, Gesellschaften zu formen und Menschen vorzugeben, wie sie leben sollen. Das kann gut sein, aber auch hochproblematisch.
Was wird in Ihrem Bericht stehen, der in diesem Herbst erscheint?
Schwabe: Es wird wieder einen Länderteil geben, der die Situation in über 40 Ländern konkret beschreibt. Wir werden uns zudem mit dem Thema Entwicklungspolitik und Religion beschäftigen. Zentrales Thema wird aber die Religions- und Weltanschauungsfreiheit von Indigenen sein. Mir geht es darum, aus einer ungewohnten Perspektive auf dieses Thema zu schauen und auch den in der Menschenrechtsarbeit Engagierten, die mit dem Thema Religion nicht immer so viel anfangen können, die Bedeutung von Religion und Weltanschauung auch für ihre Arbeit aufzuzeigen. Da werden wir unter anderem zusammenarbeiten mit Prof. Heiner Bielefeldt von der Universität Nürnberg-Erlangen, einer echten Koryphäe auf diesem Gebiet, aber auch anderen Experten. Sie werden uns den Blick nochmal weiten. Denn wenn in der indigenen Religion die Natur beseelt ist, kann das ja nicht ohne Auswirkungen auf Entwicklungszusammenarbeit bleiben.
Im kommenden Monat treffen sich die Staats- und Regierungschefs bei der UN in New York und beraten über die Halbzeitergebnisse der Agenda 2030. Die fällt nicht gut aus. Können Religionen uns dabei helfen, diese Ziele noch zu erreichen?
Schwabe: Ja, sehr. Denn in vielen Ländern sind religiöse Akteure entscheidend für den Kompass in einer Gesellschaft und für die Frage, ob wir die Ziele der Agenda 2030 noch erreichen können oder nicht. Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltschutz – das sind ja Themen, die oft über die Religionen und ihre Akteure vermittelt werden. Sie für die Agenda 2030 zu gewinnen, wäre wichtig; ohne sie werden wir es wohl nicht schaffen.
Dieses Denken prägte ja auch einige Jahre die Außenpolitik der Bundesregierung, unter Frank-Walter Steinmeier wurden die Vertreter der Religionen auch als wichtige politische Verbündete gesucht. Diese Ära scheint vorbei, jetzt prägt das Stichwort Feminismus die Außenpolitik, aber auch die Entwicklungszusammenarbeit.
Schwabe: Mir ist wichtig zu zeigen, dass der Einsatz für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit diesem Ansatz nicht widerspricht, sondern dass sich beide gut ergänzen. Es geht uns ja nicht darum, religiöse Dogmen zu verbreiten. Wir denken von der einzelnen Person her, die ihre Religion oder Nicht-Religion nicht leben kann. Dabei geht es, wie in der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik auch, in der Regel um marginalisierte Gruppen in einer Gesellschaft, zum Beispiel um Indigene. Beide Themen gehören für mich zusammen und ich werde mich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung entsprechende Projekte weiterverfolgt oder auf den Weg bringt.
Das Gespräch führte Stephan Kosch am 22.Mai in Berlin.